Jorge Sánchez Di Bello
Bild - Raum - Objekt - Glas


 

Ranchería

 

Die mehrteilige Rauminstallation “Ranchería” ist das Ergebnis meiner Reiseerfahrungen in La Guajira, Kolumbien.

 

Dabei reflektiere ich die Ausbeutung von Ressourcen in dieser Region, indem ich das Schachspiel als Allegorie für koloniale Abhängigkeitenverwendet. Die Schachbrett-Felder sind mit Steinkohle und Meersalz gefüllt, Symbole der Hauptressourcen des Gebiets.

 

*Dieses Projekt wurde gefördert durch das Graduiertestipendium des Landes Sachsen-Anhalt und der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein Halle.

Ranchería: 2021- 2022 Installation |King of Chess:Tufting (Wandteppich), 80cm X 80cm, Rote Wolle ca. 200cm lang, Palmendach (Maßevariabel), Bank 60cm X 43cm X 30cm, Holz |Chessboard: Holz, Meersalz und Steinkohle 260cm X 200cm x 5cm |Queen of Chess:Tufting(Wandteppich), 80cm X 80cm, Rote Wolle ca. 200cm lang, Palmendach (Maße variabel), Bank 60cm X 43cm X 30cm, Holz | Foto: Jorge SánchezDi Bello

Chessboard: 2021- 2022 Installation, Holz, Meersalz und Steinkohle 260cm X 200cm x 5cm | Foto: Jorge SánchezDi Bello

King of Chess: 2021- 2022 Installation, Tufting (Wandteppich), 80cm X 80cm, Rote Wolle ca. 200cm lang, Palmendach (Maßevariabel), Bank 60cm X 43cm X 30cm, Holz | Foto: Jorge SánchezDi Bello

Queen of Chess: 2021- 2022 Installation, Tufting (Wandteppich), 80cm X 80cm, Rote Wolle ca. 200cm lang, Palmendach (Maßevariabel), Bank 60cm X 43cm X 30cm, Holz | Foto: Jorge SánchezDi Bello


Das Forschungs- und Gestaltungsprojekt Rancheria ist das Ergebnis der Reiseerfahrungen, die ich im Gebiet von La Guajira, Kolumbien, gemacht habe.

Rancheria ist die Bezeichnung für das Haus oder die Häusergruppen, die von den Wayuu bewohnt werden. Die Wayuu sind eine der größten und repräsentativsten indigenen Gemeinschaften in Kolumbien. Die Geschichte der Wayuu ist untrennbar mit der Geschichte des Territoriums verbunden. Die Halbinsel La Guajira ist und war schon immer ein Ort der ständigen Ausbeutung von Ressourcen.

Bei der ersten Konfrontation mit dem Ort nach mehr als 11 Jahren habe ich das Gebiet paradoxerweise als Schachbrett wahrgenommen, nachdem ich die gesammelte Dokumentation verarbeitet hatte. Ich beschloss, das Schachspiel zu nutzen, um meine Erfahrungen mit diesem Ort zu vermitteln, und schaffe eine Installation, eine Allegorie auf meine Erfahrungen.

Schach ist ein uraltes Spiel. Es ist kein Glücksspiel und wird als Strategiespiel anerkannt. Es ist ein schwarz-weißer Kampf zwischen zwei Königen, zwei Königinnen, vier Läufern, vier Springern, vier Türmen und 16 Bauern. Das Spiel wird auf einem quadratischen Brett mit 64 Feldern gespielt, die in helle und dunkle Felder unterteilt sind. Jeder Spieler wird versuchen, sich einen materiellen oder positionellen Vorteil gegenüber seinem Gegner zu verschaffen, obwohl das ultimative Ziel darin besteht, den König so anzugreifen, dass er nicht verteidigt werden kann, was als Schachmatt bezeichnet wird. Der Sieg kann auch errungen werden, wenn der Gegner aufgibt oder die Zeit abläuft. Ein weiteres mögliches Ergebnis ist ein Unentschieden oder eine Patt-Situation. Zu den notwendigen Elementen des Spiels gehören ein physischer Raum zur Durchführung des Spiels, eine Doppelchronometeruhr, die die Zeit misst, die jeder Spieler für seine Züge hat. Zeitkontrollen im Schach ergeben sich aus der Notwendigkeit, die Spieler daran zu hindern, zu lange über ihre Züge nachzudenken. Schach ist nicht nur eine Apologie/Rechtfertigung für eine Kampfsituation, es ist auch die perfekte Darstellung eines “kolonialen Spiels”.

Die Installation basiert auf dem physischen Raum der Darstellung, der für die Entwicklung des Spiels notwendig ist. Ein Brett mit 64 Feldern, das in eine Art Sandkasten mit einer Tiefe von 5 cm umgewandelt und mit schwarzen und weißen Feldern gefüllt wird, wobei Steinkohle und Meersalz als Analogie zu den wichtigsten Ressourcen verwendet werden, die in der Region am meisten ausgebeutet werden, entweder durch die Wayuu oder durch externe Akteure. Es sei darauf hingewiesen, dass das Spielbrett in meinem Spiel nicht quadratisch ist, sondern die Form der Karte des Departements La Guajira hat. Die Quadrate haben eine Größe von 20 cm x 20 cm und die zu nutzende Fläche beträgt ca. 280 cm x 200 cm.

Ein Teil meiner eigenen Erfahrung und von entscheidender Bedeutung für den Betrachter sind die handgefertigten Butacas, Holzsitze oder Bänke, die von den Wayuu inspiriert sind. Diese befinden sich unter langen roten Fäden, die aus einem Wandteppich herauskommen. Der Wandteppich wurde in Tufting-Technik hergestellt und ist nicht nur von der typischen Materialität des Wayuu-Handwerks inspiriert, sondern gibt mit seinen Farben auch die Bilder der trockenen, karibischen Wüstenlandschaft des Gebiets wieder. Bei den beiden Wandteppichen handelt es sich im Prinzip um den König und die Königin, wichtige Schachfiguren, die aber auch sehr gut die Hierarchie der Wayuu darstellen, wobei nicht vergessen werden darf, dass die Rolle der Königin im Leben der Wayuu fast ebenso wichtig ist wie die der Frauen in einem traditionell gelebten Matriarchat. Die Maße des Wandteppichs sind 80 cm x 80 cm. Die roten Fäden stellen das traditionelle Manta, ein Tuch, der Wayuu-Frauen nach, deren Materialität bei der Herstellung von Mochilas (Taschen), Chinchorros (Hängematten), Wandteppichen, Griffen und gewebten Accessoires eine wichtige Rolle bei der Weitergabe des Wissens der Vorfahren spielt. Wenn sie auf die Butacas fallen, laden sie den Betrachter ein, sich zu setzen und an der Beobachtung des Gebiets teilzunehmen. Die Länge der Fäden beträgt ca. 2 m in einer Breite von 80 cm. Diese Materialkomposition befindet sich unter einem strohgedeckten Halbdach als Teil des Hauses, kann aber auch stellvertretend für die vielen improvisierten schattenspendenden Unterstände in der Wüste von La Guajira stehen. Die Abmessungen des Halbdachs sind 140 x 40 x 60 (L x H x B in cm).

Hinsichtlich aller verwendeten Materialien möchte ich betonen, dass diese Teil einer imaginären Darstellung meines Schachspiels sind und auch alle diese Materialien in ihrer Form und Zusammensetzung in irgendeiner Weise einen Fußabdruck von Wind, Sonne, Wasser, Salz und Kohle haben.

Der Betrachter soll sich eingeladen fühlen, die Rauminstallation zu betreten. In meinem Schachspiel gibt es keine besonderen Regeln. Die Atmosphäre, die sich darin widerspiegelt, lädt uns ein, über ein fernes Gebiet nachzudenken, das für einen Arijuna, was auf Wayuunaiki “Fremder” bedeutet, so fremd ist, dass es schwierig ist, es zu bereisen, aber noch schwieriger, es in seiner ganzen Tiefe kennen zu lernen.

Ausgehend von einem Gebiet, in dem viele soziale, politische, ethnische, historische, wirtschaftliche und kulturelle Konflikte zusammentreffen, wird in vielen Fällen ein Vermittler benötigt. Die Figur des Pütchipü’üi, auf Wayuunaiki “palabrero”, ist traditionell bedeutend, um Probleme zwischen verschiedenen Akteuren durch Wortführung zu lösen. Mit seinem tradierten Wissen und Lebensvorstellungen nimmt er eine zentrale Rolle im “Schachspiel” ein. Für die, die sich drauf einlassen, den Platz auf der Butaca einzunehmen, stellt die Handlung des Sitzens und Beobachtens diese Spielfigur dar, ein Spiel, das so komplex ist wie das Leben auf den Wayuu-Rancherias. So komplex wie die jeweilige Kosmologie, die jeder für sich zu Grunde legt und mit dem nötigen Mut auch hinterfragt.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass ich nie Schach gespielt habe und auch nie gelernt habe, Schach zu spielen. Dieses “Nichtwissen” ist essentieller Teil der Metapher, meine Forschungsreise nach La Guajira in einem raumgreifenden Schachspiel anzulegen und vielleicht auch besser zu verstehen.

 Landkarte-Skizzen: Digital Bild, Departamento de La Guajira Kolumbien, 2022.